Anders sein ist ganz normal
(05.06.2016) Plothen. So lautete das Motto unserer diesjährigen Kinderfreizeit im Kirchenbezirk Plauen, die vom 3. bis zum 5. Juni 2016 in der Jugendherberge "Am Hausteich" in Plothen stattfand. Bereits zum dritten Mal waren wir Kinderseelsorger mit den Kindern und ihren Eltern in diesem Objekt, das idyllisch am größten Teich des Landschafts- und Naturschutzgebietes "Plothener Teichlandschaft" liegt, zu Gast.
Nach monatelanger Planung war es endlich soweit: Start frei für ein Wochenende, dass dazu dienen sollte, in Form von Selbstversuchen auszuprobieren und zu erfahren, wie wichtig unsere Sinne und Gefühle sind und was „anders sein“ bedeutet.
Im Laufe des Freitagabends reisten wir an, bezogen unsere Zimmer und genossen ein reichhaltiges Angebot an Grillgut und Getränken, bis dann der Abend nach der Begrüßung durch Evangelist D. Mörchel, Beauftragter für die Kinder im Kirchenbezirk Plauen, und Bezirksältesten Standke am Lagerfeuer langsam sich seinem Ende zuneigte.
Samstag früh, gegen 7:00 Uhr trafen sich die Sportbegeisterten, um gemeinsam den Tag mit Frühsport einzuläuten. Nach dem Frühstück nutzten wir die Zeit, um Fußball, Tischtennis oder Volleyball zu spielen, sich angeregt miteinander zu unterhalten bzw. einfach nur die Sonne zu genießen.
Ca. 10:15 Uhr wurde dann die Kinderfreizeit offiziell eröffnet. Fahnen mit unserem Kinderfreizeitlogo wurden gehisst und zeigten weithin sichtbar, dass das Gelände der Jugendherberge nun in unserer Hand war. Anschließend fanden wir uns in einem der Seminarräume der Jugendherberge ein. Hier wollten wir den Inklusionssong für Deutschland „AndersSein vereint“ erlernen. Er sollte uns nämlich durch das gesamte Wochenende als Hymne begleiten.
Anders sein – was heißt das?
Zunächst erklärte uns Monique, die gemeinsam mit „ihrer“ Band den Song mit uns einstudieren wollte, wofür Inklusion eigentlich steht.
Wir erfuhren, dass Inklusion wörtlich übersetzt Zugehörigkeit heißt, also das Gegenteil von Ausgrenzung. Dabei geht es nicht nur um körperliche und/oder geistige Behinderungen. Denn jeder von uns ist ein „Unikat“. Wenn jeder Mensch – ob mit oder ohne Behinderung, unabhängig von Hautfarbe, Konfession, Charakter, sozialem und finanziellem Status – überall dabei sein kann, in der Schule, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel, in der Freizeit, in der Kirche u.a., dann ist das gelungene Inklusion. Entscheidend ist, wie wir mit den Unterschieden umgehen und welche Haltung unterstützend sein kann. Schließlich profitieren wir von der Verschiedenartigkeit. Doch dafür brauchen wir weniger Barrieren in den Köpfen, dafür mehr Offenheit, Akzeptanz und Toleranz für ein besseres Miteinander – weil Unterschiede normal sind.
Konzentriert und engagiert erlernten wir den Song und freuten uns darauf, diesen gemeinschaftlich am darauffolgenden Sonntag zum Abschluss des Gottesdienstes zu performen.
Zwischenzeitlich hatten fleißige Hände Stationen – gut verteilt auf dem JHB-Gelände – aufgebaut, damit wir am Nachmittag unsere Selbstversuche in Sachen „Anders sein“ machen konnten. Andrang gab es überall: ob bei der Stockbrotteigherstellung, wo für jeden Geschmack – selbst für den exotischsten – etwas dabei war. Denn essbare Mehlwürmer waren ebenfalls mit im Angebot. Oder beim „Parcours der Sinne“, wo wir unsere Sinne Riechen, Schmecken und Fühlen testeten. Wie sich herausstellte, war das gar nicht so einfach, wenn man nichts sieht. Wir merkten recht schnell, dass sich die vorhandenen Sinne „verstärkten“. Beim "Handicap-Parcours" probierten wir, mit Krücken zu laufen, ohne Einsatz unseres Daumens zu schreiben bzw. eine Schleife zu lösen und wieder zu binden oder einarmig ein T-Shirt an- und auszuziehen. Für uns, die wir normalerweise unsere Gliedmaßen vollständig nutzen können, war das keine leichte Aufgabe.
Bei der „Anders-Olympiade“ wurden beim Gummistiefel-Weitwurf, Bücher-Gewichtheben, Dosenwerfen und Zwergenlauf reihenweise Sieger gekürt. Denn Verlierer gab es nicht. Geschicklichkeit und Wendigkeit waren beim „Fußballtennis“ gefragt. Wer reaktionsschnell war hatte hier ganz schnell Punkte gesammelt. An der Station „Instrumentenbau“ entstanden Unikate an „Regenmachern“, Klanghölzern und Blasrohren.
Im Haus B der Jugendherberge zeigte uns Heike aus der Gemeinde Schleiz gemeinsam mit ihrer Freundin Karin, die gehörlos ist, mit welchen Gebärden sich diese Menschen unterhalten können. Hierfür hatten sie das Lied „Viele Menschen können viele Sachen“ (Kinderliederbuch der NAK, Nr. 98) ausgewählt, dass wir in Gebärdensprache erlernten. Es war toll, auch diese Art der Kommunikation einmal kennenzulernen.
Im „Dunkelcafé“ versetzten wir uns in die Situation, blind zu sein. Mit verbundenen Augen suchten wir unseren Sitzplatz in einem „Café“ auf, aßen und tranken, setzten verstärkt unser Gehör, unseren Riech- und Geschmackssinn und das Fühlen ein. Dabei war festzustellen, dass sich die Kinder weniger ängstlich im Raum bewegten als die Erwachsenen.
17 Kinder, die ihr Instrument mitgebracht hatten, fanden sich mit Susanne aus der Gemeinde Schleiz zum „Kinderfreizeit-Orchester“ zusammen und probten „Princess Sivama’s Song" von Peter Mohrs (geb. 1956). Währenddessen hatten andere die "Wohlfühl-Lounge" von Kathleen aufgesucht. Hier hieß es „Nimm dir Zeit für dich und andere“. Auf bequemen Sitzsäcken, Matratzen und Decken ließen wir beim Genuss von leckerer Kinderbowle und exotischem Saft die Seele baumeln, massierten uns gegenseitig mit Massagebällen, erzählten miteinander, notierten unsere Wünsche auf der von Kathleen ausgelegten Wunschliste oder schrieben auf der Sorgenliste auf, was uns bedrückt, wovor wir uns ängstigen.
Natürlich musste auch der Altarschmuck für Sonntag vorbereitet werden. Hierfür trafen sich Kinder und Erwachsene mit Sylvia, um in Wald und Flur rund um die Jugendherberge Blumen und Gräser zu sammeln, die dann gemeinsam zu einem stilvollen Arrangement zusammengefügt wurden. Ein Spruchband mit unserem Motto und Handabdrücken der Kinder wurde ebenfalls gestaltet.
Und wer Lust hatte, für Holznachschub für das geplante Samstagabendlagerfeuer zu sorgen, der ging mit einer anderen Gruppe in den Wald.
Als Erinnerung an dieses Wochenende konnten wir in unserer "mobilen Druckerei" T-Shirts, Schals oder Hosen mit dem Kinderfreizeit-Logo bedrucken.
So verging der Nachmittag wie im Flug. Beim Rösten des Stockbrotteiges am abendlichen Lagerfeuer neigte sich auch dieser ereignis- und erfahrungsreiche Tag dem Ende entgegen.
Am Sonntag wurde bei strahlendem Sonnenschein die Wiese auf dem JHB-Gelände für den Open-Air-Kindergottesdienst hergerichtet.
Nach und nach fanden wir uns mit Decken, Kissen und Klappstühlen ein, um gemeinsam gegen 10:00 Uhr den Gottesdienst zu beginnen. Zunächst las Melia aus Lukas 14, ab 15 das Gleichnis Jesu vom großen Abendmahl vor.
Dem Gottesdienst lag das Bibelwort Lukas 14,17.21 zugrunde:
„Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit!
Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.“
Bezirksältester Standke erzählte, dass er intensiv nach einem zum Thema der Kinderfreizeit passenden Bibelwort gesucht habe und auf das soeben vorgelesene gestoßen sei.
Denn in diesem Gleichnis geht es um Ausgrenzung. Jesus nimmt diese Geschichte zum Anlass, um den Menschen etwas Bestimmtes zu lehren.
Er erzählt davon, dass ein Mensch ein Abendmahl für seine Freunde veranstalten wollte. Sie nahmen freudig die Einladung an. Doch am Festtag sagten sie nacheinander ihre Teilnahme ab, weil sie andere Dinge dringend zu erledigen hatten. Enttäuscht darüber, dass seinen Freunden andere Angelegenheiten wichtiger waren als seine Einladung zum Abendmahl, schickte dieser Mensch seinen Knecht aus, um die Ausgegrenzten aus der Gesellschaft zum Abendmahl einzuladen. Diese ließen sich nicht zweimal bitten und nahmen die Einladung des Hausherrn mit Freuden und Dankbarkeit an.
Was wollte Jesus damit sagen?
Er zeigte den Juden, dass Gott alle Menschen lieb hat. Die Juden wollten nämlich nichts mit Sündern, Heiden, Zöllnern, Kranken, Armen und Behinderten zu tun haben.
Auch wir wollen niemand ausgrenzen. Wir wollen akzeptieren und tolerieren, dass wir uns hinsichtlich unserer Gefühle, unser Größe, unseres Alters, unserer Hautfarbe, unserer Sitten und Bräuche, unserer körperlichen Konstitution, unserem Charakter, unserer Erziehung u.v.m. unterscheiden.
- Lasst uns über unseren „Tellerrand sehen“, uns Zeit nehmen und den Mut haben, den anderen kennenzulernen, so, wie es im Gleichnis Jesu der Hausherr gemacht hat, und wenn nötig, unsere Hilfe anbieten.
- Lasst uns Hand und Herz Jesu sein, d. h. unter anderem auch zu vergeben – selbst unseren Feinden.
- Lasst uns folgenden Merksatz aus dem Gottesdienst mitnehmen:
„Gott liebt jeden Menschen, auch wenn er anders ist als ich.“
Im Hinblick auf die Sündenvergebung und die Feier des Heiligen Abendmahls erklärte Bezirksältester Standke den Kindern, dass Jesus uns immer wieder aufs Neue zur Gemeinschaft mit ihm einlädt. Brot und Wein versinnbildlicht in der Hostie stehen für sein Wesen, dass wir während der Feier des Heiligen Abendmahls in uns aufnehmen. Denn was im Abendmahl geschieht, spricht den Menschen mit all seinen Sinnen an.
Abschließend scharten wir uns um Monique, Anne-Sophie und Fabian, um unsere Kinderfreizeit-Hymne, den Inklusionssong für Deutschland „AndersSein vereint“ der versammelten Gemeinde vorzutragen. Es waren aufregende und bewegende Momente, Teil dieser Gesangsgruppe zu sein.
Mit den Worten „Einfach Mensch sein“ endete der Song. Wollen wir das in die Tat umsetzen, indem wir die Akzeptanz, die wir für uns einfordern, auch unseren Mitmenschen entgegenbringen. Denn wir haben alle unsere Stärken, unsere Schwächen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das alles fördert eine Vielfalt im gemeinschaftlichen Miteinander zutage, die bereichert und belebt.
Der Gottesdienst wurde musikalisch umrahmt vom „Kinderfreizeit-Orchester“, von der „Kinderfreizeit-Gebärdengruppe“, vom 6-jährigen Paule mit seiner Trompete, von Laura, Melanie, Anne-Sophie und Fabian jeweils am Klavier, von den Kinderchören aus Gera und aus Plauen, vom Schleizer Kinderorchester und von der Singgruppe aus Auerbach.
Fazit
Bei sonnigem Wetter haben wir Inklusion praktiziert im tollen, unkomplizierten Miteinander. Wir haben viele neue Eindrücke und Erfahrungen im Gepäck mit nach Hause genommen. Denn anders sein ist ganz normal, anders sein vereint. Wir können voneinander lernen, Wege neu beschreiten, können zusammenwachsen, uns gegenseitig halten, gemeinsam Grenzen überwinden und unseren Horizont erweitern. Es gibt viel, was uns verbindet. Lasst uns unsere Zukunft gemeinsam gestalten.
Text: sica, Fotos: K.Mr.